Das Aristoteles Projekt: Was macht ein gutes Team aus?
Google hat zwei Jahre lang erforscht, wie Büroteams funktionieren. Wann scheitern sie? Und wann sind sie erfolgreich? Hier die wichtigsten Auszüge aus einem Interview der SZ mit Matt Sakaguchi.
Matt Sakaguchi, 52, von der Ausbildung her Polizist und SWAT-Teammitglied, ist seit mehr als zehn Jahren Teamleiter bei Google. Als eines seiner Teams nicht gut funktionierte, beteiligte er sich am »Aristoteles Projekt«. Damit hat Google mit Hilfe von Psychologen, Statistikern, Soziologen und Ingenieuren mit einem Millionenaufwand zwei Jahre lang 180 Teams untersucht, um herauszufinden, wie und wann diese am besten funktionieren.
Herr
Sakaguchi, mal ganz direkt gefragt: Was macht denn nun Teams erfolgreich?
Projekt Aristoteles hat erst einmal alle Studien zum Thema unter die Lupe genommen.
Gelingt ein Team besser, wenn alle Mitglieder ähnliche Interessen oder Hobbies
haben? Funktioniert eine Mischung aus Intro- und Extrovertierten am besten?
Wird die Arbeit besser, wenn sich die Team-Mitglieder auch privat treffen? Es
war frustrierend, weil all diese Aspekte keinen Einfluss auf die Qualität der
Teamarbeit hatten.
Was ist
überhaupt ein effektives Team?
Genau das war die erste Frage. Sie ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ist
es die Menge an Codes, die ein Team produziert? Quantität ist nicht gleich
Qualität. Ist es die Menge an Fehlern, die sie beheben? Kann man so auch nicht
sagen, denn vielleicht waren zuvor mehr Fehler drin, die behoben werden
mussten. Man hat also die obere Führungsebene, die mittleren Teamleiter und die
einzelnen Mitarbeiter jeweils gefragt, wann sie ein Team für effektiv halten.
Für die obere Führungsschicht ist entscheidend, dass ein Team Ergebnisse
liefert – und zwar termingerecht und in hoher Qualität. Die Teamleader legen
Wert auf klare Zielvorgaben, Struktur, ein gewisses Maß an Autonomie und
Gemeinschaftssinn. Den einzelnen Teammitgliedern ist vor allem die Kultur
wichtig, dass sie sich im Team wohlfühlen. Man konzentrierte sich schließlich
auf die ungeschriebenen Gesetze, die Psychologen Gruppennormen nennen und die
entscheidend sind.
Sie wollten
an dem Projekt teilnehmen, weil eines Ihrer Teams zur Qualitätssicherung nicht
so gut lief, richtig?
Mein Team hielt das erst für Zeitverschwendung, aber die Ergebnisse haben mich
umgehauen. Ich dachte nämlich, eine meiner größten Stärken sei, dass ich sehr
gut organisiere und klare Ziele habe. Aber das Team bemängelte am meisten den
Mangel an Klarheit. Es kam auch raus, dass sie sich selbst im offenen
Brainstorming nicht trauten, spontane Ideen in den Raum zu werfen, weil sie
dachten, sie müssten eine Idee komplett durchdacht und ausformuliert haben.
Also waren unsere Meetings wenig lebendig. Als ich die Ergebnisse sah, habe ich
mein Team vom Campus genommen und einen Raum in einem verlassenen Museum
gemietet. Ich wollte einige dieser Hürden einreissen und habe jeden gebeten,
einen persönlichen Lebenspfad zu zeichnen. Jeder sollte so viel oder so wenig
von sich erzählen, wie er wollte. Ich machte den Anfang.
Was haben
Sie erzählt?
Dass ich seit 2001 unheilbar an Krebs erkrankt bin. Es ist ein langsam
wachsender Krebs, aber es gibt Zeiten, in denen ich ziemlich schwere Schmerzen
habe, und ich werde keine 100 werden. Ich wollte meinen Mitarbeitern auch
sagen: Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass ihr alle das machen
sollt, was euch Freude bereitet, solange ihr gesund seid. Arbeit ist wichtig,
aber das Leben ist viel wichtiger.
Ihr Team
hatte keine Ahnung von Ihrer Krankheit?
Die waren fassungslos. Anschließend erzählte jeder etwas von sich. Eine
Mitarbeiterin erzählte, sie sei eine Weile magersüchtig gewesen; ein anderer
steckte gerade in einer sehr schwierigen Scheidung. Andere teilten nicht ganz
so persönliche Dinge, aber sowas wie: »Hey, ich weiß, dass ich manchmal sehr
knapp und direkt rüberkomme, aber nehmt das bitte nicht persönlich. Ich bin
einfach jemand, der euch nicht fragt, wie euer Wochenende war, sondern lieber
gleich zu den Fakten kommt.« Und man sah bei den anderen den Groschen fallen:
»Aha, der ist also gar nicht sauer, sondern das ist einfach seine Art.« Jeder
sprach über etwas, worüber man normalerweise bei der Arbeit nicht spricht. Wenn
man das einmal gemacht hat, sieht man den anderen mit anderen Augen, weil man
eine andere Perspektive hat. Ich war offen und verletzlich, und das hat den
anderen erlaubt, auch offen und verletzlich zu sein. Anschließend wurden wir
langsam ein besseres Team.
Aber man
muss doch nicht beste Freunde sein, um gut zusammen zu arbeiten, oder?
Nein, ob Menschen sich privat außerhalb der Arbeit treffen, hat überhaupt
keinen Einfluss auf die Qualität der Arbeit. Aber wichtig ist, dass man sich
auf einer grundlegenden menschlichen Ebene begegnet. Eine Umgebung, in der sich
jeder fühlt, als müsste er sich immer nur von seiner besten Seite zeigen, führt
zu Burnout. Man lernt und wächst nicht. Das kann man vielleicht kurzfristig
machen, aber langfristig braucht man eine Atmosphäre, in der Leute sich sicher
fühlen und sie selbst sein können.
Es brauchte
eine Weile, bis sich fünf Prinzipien für erfolgreiche Teams
herauskristallisierten. Was sind diese fünf?
Erstens: Psychologische Sicherheit. Können wir im Team Risiken eingehen ohne
uns unsicher zu fühlen? Zweitens: Verlässlichkeit. Können wir uns darauf verlassen,
dass jeder seine Arbeit pünktlich und gut erledigt? Drittens: Struktur und
Klarheit. Sind die Ziele, die Rollenverteilung und die Ausführungswege im Team
klar? Viertens: Sinn. Arbeiten wir an etwas, das jedem im Team persönlich
wichtig ist? Fünftens: Einfluss der Arbeit. Glauben wir daran, dass unsere
Arbeit wichtig ist?
Es ist
überraschend, dass in einer Kultur der ständigen Optimierung und des
Erfolgsdrucks ausgerechnet das als wichtigstes Prinzip herausstach:
psychologische Sicherheit.
Es ist ein Begriff, der von der Harvard-Psychologin Amy Edmondson geprägt
wurde. Es bedeutet, dass man sich im Team aufgehoben genug fühlt, um Risiken
einzugehen und sich auch verletzlich zu zeigen. Wenn man das hat, dann kann man
auch mal eine verrückte, halbgare Idee in den Raum werfen oder zugeben, dass
man gerade ein großes Problem mit etwas hat. Kann mir bitte jemand dabei
helfen? Man vertraut darauf, dass einen die anderen deshalb nicht abwerten oder
für inkompetent halten.
Wie hat Ihre
Polizei-Ausbildung Ihren Führungsstil beeinflusst?
Bei der Polizei im Streifendienst habe ich das genaue Gegenteil von dem erlebt,
was ich gerade erzählte. Da wird erwartet, dass du dich im Griff hast, nicht
viele Fragen stellst und nur um Hilfe bittest, wenn du sie wirklich, wirklich
dringend brauchst. Das war eine sehr männlich dominierte Machokultur. Da gab es
keinen Spielraum zu sagen: Hey, da habe ich Zweifel.
Oder: Ich habe Angst.
Genau! Halt den Mund und mach deinen Job! Ich fand das anstrengend. Dann wurde ich nach vier Jahren Teil des SWAT-Teams, also des schwer bewaffneten Teams, das bei einem Amoklauf oder einer Geiselnahme gerufen wird. Da muss man eng zusammen arbeiten und sich aufeinander verlassen können, sonst kommt man aus diesen brenzligen Situationen nicht heil raus. Was mich beeindruckt hat, war, dass der Sergeant seinen Einsatz-Plan präsentierte und dann fragte: »Leute, was habe ich übersehen? Sagt mir, wo ich falsch liege.« Dass hat mich umgehauen, denn in paramilitärischen Gruppen wird normalerweise einfach von oben kommandiert. Als ich einmal nach einem Einsatz zugab, dass ich Schiss hatte, sagte mein Einsatzleiter: »Wenn du keinen Schiss hast, dann bist du kein Mensch. Wir hatten alle Angst da drinnen.« Das war das erste Mal, dass ich als Polizist sagen durfte: Es ist okay, Angst zu haben. Da erlebte ich zum ersten Mal psychologische Sicherheit bei der Arbeit. Das war ein Wendepunkt für mich.
Glauben Sie,
die Google-Erkenntnisse lassen sich auf andere Branchen übertragen?
Ich habe vorher bei der Polizei, für Sony und Walmart gearbeitet, und die fünf
Prinzipien lassen sich auf jede Branche übertragen. Die Dynamik in Teams ist
überall gleich. Wir haben das übrigens auch für Verkaufsteams getestet, weil da
der Erfolg klar messbar ist: Entweder du schaffst deine Zahlen oder nicht. Wir
stellten fest, dass die Teams mit hoher psychologischer Sicherheit ihre Ziele
um 19 Prozent übertrafen, während die unsicheren sie permanent um 17 Prozent
untertrafen. Damit überzeuge ich Skeptiker, die fragen, woher wir wirklich
wissen, dass diese Strategien effektiv sind.